Autor: Ulrich Hoffmann, PerformNet AG
…. und ihre Richter
Die Adventszeit – Zeit der Besinnung, der inneren Einkehr, aber auch der feuchtfröhlichen
Weihnachtsfeiern. In dieser besonderen Atmosphäre entstehen vertrauliche, manchmal sogar konspirative Kommunikationszirkel in den Ecken, begleitet von Kaffee, Weihnachtsgebäck und Glühwein. Vieles kommt ungefiltert zu Tage, denn die hierarchischen Grenzen des Gesagten und des Gefragten verschwimmen, sobald ein bestimmtes Hemmungslevel erreicht ist. Ein Hoch auf die Fraternisierung der Massen!
Doch Moment – heute ist nicht der 14. Juli 1789. Auch nicht, wenn es sich dank des Glühweinpegels bereits danach anfühlt. Der Morgen danach schreit nach Alka-Seltzer, Ruhe und sorgfältig gepflegten Erinnerungslücken. Solche „Blackouts“ sollen ja gelegentlich sogar bei staatstragenden Personen vorkommen. Mit einem Abstand zu der schweren Nacht ist klar: vieles von dem Gesagten war so nicht gemeint. Und überhaupt gilt für Weihnachtsfeiern dasselbe, wie für Las Vegas: „Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas.“
Das mag für die grosse Masse gelten, aber nicht für Führungskräfte – und schon gar nicht
für jene, die sich nur dafür halten. Gesagt ist gesagt. Und es gilt – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen.
Ein paar Jahre zurück – Ende Dezember 1982. Die Koffer waren schon gepackt, der Möbelwagen für unsere Umsiedlung in die Schweiz war bestellt. In Deutschland hatte die Organisation gerade mit Dr. Manfred Wittler einen neuen Chef bekommen, der seine erste Führungskräftetagung abhielt.
In seiner Rede betonte er die Bedeutung von Führungskräften für das Unternehmen und
deren Wahrnehmung bei den Mitarbeitenden. Seine klare Ansage an die Crew lautete: „Agree and commit or disagree and commit.“ Kritik ist immer willkommen, sofern konstruktiv, ehrlich und offen kommuniziert. Aber jegliche Form der Insubordination1 ist für Führungskräfte nicht akzeptabel und wird entsprechend gewürdigt.
Ein paar Jahre später, bei einem internen Führungskräftemeeting in Redwood Shores, zu
dem alle Länderchefs persönlich eingeladen waren, stellte der neue COO des Konzerns seine kurz- und mittelfristige Strategie vor. Sehr amerikanisch, sehr direkt, sehr klar – kein Herumgeeiere.
Als er geendet hatte, gingen die Lichter im Saal an, die Türen wurden geöffnet. Mit dem
Hinweis „Agree and commit or disagree and commit“ deutete er auf die offenen Türen. Welch ein Drama! Niemand stand auf – man war geschockt von dieser sehr merikanischen Knallhart-Ansage. Es war Ray Lane, der damalige Präsident und COO von Oracle, der noch heute dafür bekannt und gefeiert wird, den Datenbankhersteller seinerzeit gerettet zu haben.
Heute werden Führungskräfte gerne offener und ungeschminkter kritisiert. Das ist in Ordnung und entspricht dem Zeitgeist – sofern die Kritik sachlich ist, nicht persönlich wird und Pauschalurteile oder herabwürdigende Beleidigungen vermieden werden.
Doch noch etwas hat sich verändert: Jeder fühlt sich inzwischen berufen, mitzureden, zu
kritisieren und dieses im Internet zu publizieren. Was dabei oft vergessen wird: diese oftmals subjektiv gefärbte Kritik richtet sich gegen etwas, dessen Tragweite die Kritiker nicht kennen – und wahrscheinlich auch nie kennen lernen werden. Ihnen fehlt das nötige Wissen, der Weitblick, die Reife und Seniorität, sowie das Verständnis für die Imponderabilien auf den obersten Führungsebenen.
Besonders subalterne Führungsebenen schwingen sich gerne dazu auf, das Wort zu führen
– oft auch in kleinen Zirkeln. Doch sie haben noch nie eine gesamtverantwortliche Entscheidung getroffen, kein Budget abgesegnet, keine Investitionen beschlossen, oder um deren Finanzierung gekämpft. Sie haben keine disziplinarischen Personalentscheidungen gefällt, keinen Stellenabbau entschieden und umgesetzt – sondern stets nur auf Anweisung von oben agiert. Es fehlt also der Beweis, dass sie es wirklich besser können.
Schlussendlich mussten sie nie dafür den Kopf hinhalten – was uns wieder zu 1789 bringt.
Zur PDF Datei von Türchen 13.